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everything's gonna be super duper

Zu dieser Zeit, vor zwei Jahren, war ich in einer Klinik. Mit Türen, die sich ohne Hilfe nicht öffnen ließen, Dreibettzimmern und viele Tabletten. Heute vor zwei Jahren saß ich völlig zugedröhnt auf einem Stuhl, habe den ganzen Tag nach draußen gestarrt, gewartet, dass die Zeit vorbei geht. Sie haben mich mit Pillen ruhig gehalten, mich komplett vergessen lassen. Ich war ein Zombie, bin mit trüben Augen durch die Gänge geschlurft. 
Ich war ein Bild des Jammers, mir wird heute noch schlecht, wenn ich daran denke. Tag um Tag Pillen fressen, Tag um Tag wie im Koma verbringen, eine lebende Tote. Doch als ich erst einmal begriffen habe, welches Leid um mich herum herrscht, war ich froh um den trüben Kopf, den mir die Tabletten bescherten. Ich habe so viele Leute kennen gelernt, so viele Geschichten gehört, dass es für zwei Leben reichen würde.
Ulli, die als Kind von ihrem Vater an seine Kollegen verkauft wurde, die niemals ein liebendes Heim hatte und die nicht einmal eine Stunde nach ihrer Entlassung auf die Autobahn lief und starb.
Kati, die durch eine Vergewaltigung schwanger wurde, das Kind abgab und eingewiesen wurde. Die seit geschlagenen fünf Jahren auf der Geschlossenen war, nach drei Jahren floh und sich eine Scherbe in den Bauch rammte, um zu sterben. Die bei 1,78m nur lächerliche 34kg wog und immer noch jegliche Nahrung verweigerte. Die keine fünf Meter neben mir einen Herzstillstand bekam, wegen einem Schnupfen ins künstliche Koma versetzt werden musste und sich komplett aufgegeben hat.
Ali, der Leute sah und hörte, die nicht da waren, durch die Drogen, die er sich, seitdem er aus Afghanistan wieder da war, rein gepfiffen hatte. Und dass er das mit Absicht tat um zu vergessen, dass er einem Kind, keine zehn Jahre alt, ins Gesicht schoss.
Mohammed, der aus Langeweile seine Familie abstechen wollte, weil die Stimmen ihm das gesagt hätten und er der Meinung war, dass der Knast geweihter Boden sei.
Ich glaube, wenn ich die ganzen Aufenthalte zusammen zähle, war ich sicher ein halbes Jahr dort und in dieser Zeit habe ich Menschen gesehen, mit ihnen gesprochen, sie lieb gewonnen, Ihr Leid und Elend kann sich keiner von uns überhaupt vorstellen, nicht mal erahnen. Ich hab so viele Dinge gehört, die mich in Tränen haben ausbrechen lassen und komplett an der Welt haben zweifeln lassen. Dort findet sich so viel Trauer, so viel Hoffnungslosigkeit, dass es einem die Luft zum Atmen nimmt. Die Minuten streichen dort nur um, wir alle warten dort. Manche auf ihre Entlassung, manche auch einfach darauf, dass irgendetwas geschieht, was sie wieder hoffen lässt. Denn draußen gibt es für die meisten dort nichts. Dort warten Drogen, lange Tage und noch längere Nächte. Dort wartet die Stille, die die Stimmen wieder anlockt, die die meisten dort wie ein Schatten verfolgen. 
Doch ich erzähle euch von ihnen, weil unter ihnen ein paar wirkliche Helden sind. Berkan, der mich unter seine Fittiche nahm, auf mich aufpasste zwischen dem ganzen wirren Gerede. Einmal nahm er mich beim Rauchen beiseite, sah mich ernst an und sagte: "Siehst du die Leute hier? Versprich mir, dass, wenn du hier raus bist, du alles tust, um niemals so zu werden. Für mich ist das zu spät, aber ich will, dass du nicht aufgibst. In dir steckt viel, viel Kraft, vergiss das nicht. Du bist ein gutes Mädchen, werde nicht so wie ich und die."
Manchmal würde ich ihn gerne nochmal sehen, nur um ihm zu zeigen, dass ich nicht aufgegeben habe. Dass ich an mir arbeite, dass ich Fortschritte mache, dass ich seinen Worten gefolgt bin. Und dass mich seine Worte noch heute daran erinnern, dass ich weiter machen muss. Ein bisschen tue ich es auch für Leute wie ihn, die damals so viel Hoffnung in mich gesteckt haben und mir immer wieder Mut gemacht haben. Sie haben die Einsamkeit ein bisschen vertrieben, haben mir wieder Kraft gemacht, ganz ohne es zu wissen.
Das sind Helden für mich, kleine, stumme Helden des Alltags. Die, die nicht einmal wissen, wie hell sie strahlen, wie viel sie geben, was alles in ihnen steckt. Die, die den Tag etwas leichter machen, die die Zeit schneller verstreichen lassen, die mit einem Grinsen oder ein paar Worten schon Welten drehen können.
Danke!

3 Kommentare:

Anna hat gesagt…

Und ich danke dir, denn für mich bist du eine dieser Heldinnen, auch wenn ich nur deine Worte kenne und nicht dich. Und ich danke dir für deine Worte. Du bist eine Heldin. Und danke auch, dass du von deinen Helden erzählst. Wirklich Danke. Vom ganzen Herzen.

Madame Traumtänzerin hat gesagt…

Ich finde das ist ein großartiger Text. Weil es zeigt, was du für ein Mensch mit Herz bist. Dass du mitfühlst. Dass du über diese Menschen schreibst. Ich danke dir, dass du uns an deinen Erlebnissen teilhabne lässt, auch wenn es zum Teil keine schönen Geschichten sind, sondern eher grausame Wirklichkeit. Und ich finde es noch schöner, dass du einen Helden gefunden hast. und das anerkennst. Denn viele Menschen würden sowas vielleicht als selbstverständlich sehen oder so. Pass auf dich auf und halte durch.

Chloé hat gesagt…

Ein sehr berührender Eintrag. Mir fehlen die Worte ..