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28.12.2009

Hallo Felix!

Es ist halb sieben morgens und ich sitze hier und jongliere mit so viele Worten, in der Hoffnung, die richtigen für diesen Tag zu finden, irgendwelche, die den ganzen Schmerz und den schleichenden Ekel einfangen und bewahren, zu umsorgen und zu pflegen. 
Nach sieben Jahren gibt es kaum etwas, was ich dir noch nicht geschrieben habe, keine Anklage und Träne, die es nicht schon einmal gegeben hätte. Heute, in ein paar Stunden, vor 2.555 Tagen, habe ich den größten Fehler meines Lebens begangen. Damals, genau heute vor sieben Jahren, hast du mir in ein paar Stunden mein Leben in Fetzen gerissen, hast mich blutend und benutzt liegen lassen, hast mir alles geraubt, woran ich geglaubt habe, inklusive mir selbst. Auch nach all der Zeit fehlt etwas von mir, ein gähnendes Loch klafft dort, wo damals das kleine, unschuldige Kind war, das Hilfe suchte. Du hast mir dieses Kind genommen, meinen Glauben an mich und die Welt, meinen Lebenswillen und alles, was mich hat weiter machen lassen. Du, ein Nichts, ein Niemand, hast es geschafft, mich zu brechen. Du hast mich in die Ecke geworfen, hast lachend zugesehen wie ich zerbrochen bin, wie ich Stück für Stück meine Hoffnung verloren habe. 
Eigentlich müsste ich wütend sein und normalerweise bekomme ich das ganz gut hin, doch heute ist da keine Wut, nur gähnende Leere. Du hast das kleine vierzehnjährige Mädchen von damals getötet, du hast ihr den Todesstoß verpassen und sie mir somit genommen. Das ist eine Wunde, mir der ich leben muss, die niemals ganz verheilen wird, sie wird lediglich unscheinbarer mit all der Zeit. Ich gewöhne mich an die Leere, ich nehme sie an und danke ihr, dass sie mich vor all den Bildern, Geräuschen und Gerüchen von dir verschont, die mich sonst unter sich tief begraben.
Ich bin mir nicht sicher, was ich dir sagen möchte, denn, so weh es mir tut, du wirst diese Briefe niemals lesen und selbst wenn, dann würdest sie dich wahrscheinlich stolz machen. Du genießt mein Leid, mit jeder Zelle deines Körpers gierst du danach, labst dich an dem ganzen Schmerz, den du verbreitest. 
Selbst jetzt, wo du Jahre und Kilometer hinter mir liegst, schnürt sich mein Hals zu, lässt mich kaum atmen und lässt mich wieder in Panik verfallen. In Sekunden liege ich wieder unter dir, hoffe auf deinen Verstand und sehe in deinen Augen, dass da keine Rücksicht, keine Hilfe zu finden ist. Sie waren leer, schwarz und leer. Wie ein Tier kamst du mir vor, unbändig und rücksichtslos. Du hast dir genommen, was du wolltest, ohne Rücksicht auf Verluste, ohne Rücksicht auf mich. Das Feuer lodert immer noch, versengt meine Haut, bis ich sie mir von den Knochen schneiden will, um dir zu entfliehen.
Schlimmer als deine Berührungen waren jedoch deine Worte. Jedes einzelne, schmierig, klebrige Worte, was deinen Lippen entwischt ist, hat sich tief in meinen Kopf gebrannt. Sie geistert seitdem dort herum, überfallen mich von Zeit zu Zeit und lassen mich wieder stumm und verletzt zurück. Obwohl ich sie seit Jahren immer und immer wieder abspiele, sie von jeder Seite betrachte und jede Bedeutung erwäge, trotzdem lassen sie mich jedes Mal fassungslos und taub zurück. Ich kann mir immer noch nicht vorstellen, weswegen du mir das alles angetan hast, ich kann es nicht verstehen. Ich verstehe nicht, wie du mir so viel Schmerz zufügen konntest, wie ein Mensch so unmenschlich kalt und berechnend sein kann, wie du es warst. Ich finde keine Antworten, finde den Fehler nicht, den ich begangen habe, den Grund, weswegen du beschlossen hast, mein Leben so nieder zu reißen. Tag für Tag kämpfe ich noch mit dir, kämpfe mit deinem Echo, deinem Geist, vor dem ich nicht fliehen kann. Jedes Mal siehst du mich an, emotionslos und nichtssagend, wie im Blutrausch, nur darauf aus, mich zu entjungfern. Ich weiß nicht, was dich an einem ausgehungerten, ängstlichen Mädchen gereizt hat, was dich dazu gebracht hat, mich zu vergewaltigen und mir mit falschen Zungen einzuflüstern, dass ich dir dankbar sein sollte und all das nur meine Schuld ist. 
Weißt du, es ist so schwer, dich von mir fern zu halten, die Erinnerungen, die ich nicht abstreifen kann, auszuhalten, wenn ich einfach nicht verstehe warum. Diese Frage, das große WARUM? zerfrisst mich, lässt mich nicht mehr los und ist wohl die Antwort, die ich am meisten herbei sehne. Irgendwas, eine Erklärung, wie du mir so etwas antun konntest.
Auch dieses Jahr wird diese Frage offen bleiben, werden die ganzen Bilder und Erinnerungen nicht verschwinden, doch ich habe gelernt, damit zu leben. Ich muss, ich habe keine Wahl, wenn ich nicht an Selbsthass und Ekel zugrunde gehen will, dann führt kein Weg drum herum. Du hattest mich schon soweit, dass ich mir das Leben nehmen wollte, dass ich die Albträume und die unsichtbaren Hände, die mich Nacht für Nacht verbrannt habe, nicht mehr ausgehalten habe, dass ich mich so sehr verabscheut habe, dass ich nicht mehr weiter machen wollte. Seitdem sind vier Jahre vergangen und diese vier Jahre haben mich gelehrt, dass ich nicht aufgeben darf, nicht aufgeben kann. 
Ich kann dir diesen Triumph nicht gönnen, mich zum Aufgeben gebracht zu haben, mich endgültig gebrochen zu haben. 
Du hast viele zu viel Platz in meinem Leben eingenommen, hast zu viel zerstört und in Schutt und Asche gelegt, doch aus dieser Asche ist neue Hoffnung gewachsen. Langsam, Millimeter für Millimeter, doch sie wächst weiter und deswegen hast du nicht gewonnen, du gehst als Verlierer aus diesem Kampf heraus.
Du bist schwach, kümmerlich, eigentlich nicht einmal erwähnenswert, ein unbedeutendes Nichts. Du bist nicht mutig, nicht wichtig, für mich nicht einmal mehr menschlich. Du bist weniger wert, als ich mich jemals gefühlt habe, du bist einfach nur jemand, der mutwillig viel Leid anrichtet. Läge es in meiner Hand würde ich dich bestrafen, dich stoppen, verhindern, dass du nach wie vor unbeschwert herum stolzierst und niemals das durch gemacht hast, was du mir angetan hast. Du hättest das niemals überlebt, du bist zu schwach dafür. Mein einziges Wunsch, den ich dir gegenüber hege, ist, dass du einmal in deinem Leben diese Erniedrigung spürst, wie es ist, körperlich unterlegen und ausgeliefert zu sein, wie es ist benutzt zu werden. Ich möchte, dass du das Feuer spürst, dass es dich verbrennt und du die Hölle auf Erden durchleiden musst, damit du weißt, was du getan hast und vielleicht noch tust.
Du verdienst dein Leben nicht, du verdienst nichts Gutes. Du bist der größte Fehler meines Lebens, das größte schwarze Loch, welches versucht hat mich zu verschlingen, aber du bist gescheitert. 
Das ist der einzige Triumph, den einzigen Sieg, den ich gegen dich in der Hand habe, doch ich selbst bin der Sieg. Ich sitze hier und atme, kann lachen und lasse mein Leben nicht mehr von dir bestimmen, löse mich Tag für Tag, Stück für Stück mehr von dir und lasse dich hinter mir. Ich habe nicht aufgegeben, habe mich von deinen Worte nicht zerfressen lassen und obwohl ich weiß, dass du das hier nicht liest, weiß ich, dass auch du heute an mich denkst und ich hoffe, dass du weißt, dass ich ebenfalls der größte Fehler deines Lebens war. Du hast mich, trotz all den Drohungen und Einschüchterungen, nicht zum Verstummen gebracht, ich habe dich nicht tot geschwiegen. Es wissen so viele von dir, so viele, die du nicht kennst, doch sie wissen genau, was du für ein Winzling du bist und ich weiß, dass du das auch weißt. Du hast mich unterschätzt, ich habe auch dich zu Fall gebracht und habe dafür gesorgt, dass deine ganzen versteckten Taten nicht mehr ungesehen bleiben.
Ich denke heute an dich, sehe auf dir herab und kann nicht einmal mehr Mitleid für dich empfinden.
Du denkst heute an mich und hoffentlich schämst du dich, hoffentlich leidest du und hoffentlich heftet sich eine riesen Verzweiflung an dich.

Wie jedes Jahr habe ich all das schon gesagt, wie jedes Jahr hasse und fürchte ich dich immer noch.
Und wie jedes Jahr verabschiede ich mich jetzt und versuche mich für diese paar Stunden, in denen die Erinnerungen so erbarmungslos zuschlagen, zu schützen und nicht allein zu lassen.

Bis nächstes Jahr Felix, 
und sei dir sicher, ich bin stark genug, um dich das nächste Mal, 
wenn wir uns sehen, entsprechend zu empfangen.

M.

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